Der Kryptowährungsgeist ist aus der Flasche

 

In den vergangenen Jahren sind sehr wahrscheinlich viele derjenigen, die sich für das allgemeine Zeitgeschehen interessieren, immer wieder auf den Begriff Bitcoin gestoßen. Ob in der Tagespresse, im Wirtschaftsteil von Zeitungen oder auf Internetseiten, oft wurde in diesen Publikationen über Bitcoin im Zusammenhang mit Hackerangriffen oder kriminellen Machenschaften berichtet. Doch seit Mitte 2017 hat sich die Wahrnehmung merklich verändert und es konnte ein spürbarer Schwenk von einer durchweg negativen Presse hin zu einer mehr objektiveren Berichterstattung vermerkt werden. Das lag vor allem daran, dass im Zuge des Krypto-Hypes mit Bitcoin-Kursen bei 20.000 US-Dollar selbst der letzte Finanzmarktexperte verstanden hat, dass sich Bitcoin vollends in der Welt der Finanzen als alternatives Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel etabliert hat. Dazu kam, dass die dahinter stehende Technologie, nämlich die Blockchain, erste Erfolge abseits von Bitcoin erreichen konnte. Im Grunde war es nicht Bitcoin, sondern Ethereum, eine wichtige Kryptowährung nach Bitcoin, die das Potential der Blockchain-Technologie im Zusammenspiel mit Smart Contracts erst richtig entfesseln konnte. Doch für die breite Masse bleibt die Blockchain-Technologie ein Buch mit sieben Siegel und deshalb wollen wir in unserer Akademie die Bedeutung und Technologie hinter Bitcoin & Co. näher erläutern, ohne das man ein Finanz- oder IT-Experte sein muss. In der Regel wird bei der Erklärung zu oft mit Fachbegriffen um sich geschmissen, da die Materie teilweise komplex und ohne Vorwissen kaum zu verstehen ist. Doch wir von Emden-Research sind davon überzeugt, dass die Blockchain-Technologie in ein paar Jahren in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens anzutreffen sein wird. Deshalb ist es an der Zeit, eine Einführung in das Thema zu geben, die für jeden geschrieben ist und die jeder verstehen kann.

 

Bitcoin und die Finanzkrise

 

Die Immobilienpreise in den USA begannen nach einer außerordentlichen Boomphase im Jahr 2006 zu sinken. Fachleute sprachen seit langem von einer Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt, die durch freizügige Vergabe von Krediten ohne Sicherheiten an Privatkunden aufgeblasen wurde. Durch die sinkenden Immobilienpreise wurden in den Bilanzen vieler Immobilienfonds und Banken gravierende Verluste und Pleiten sichtbar. Im Sommer 2008 zogen dann dunkle Wolken über den globalen Finanzmärkten auf. Die US-Wirtschaft fiel in eine tiefe Rezession, die letztendlich die Finanzkrise für die US-Notenbank nicht mehr beherrschbar machte. Die Insolvenzkandidaten hießen zu jener Zeit Bank of America, Wachovia und Lehman Brothers. Nur wenige Wochen später geriet das weltweite Finanzsystem ins Wanken. Viele Leser dürften sich an die Dramatik jener Tage erinnern. Die Lehman Brothers-Insolvenz fand am 15. September 2008 statt. Die US-Zentralbank und andere Notenbanken riefen in Folge die Nullzinspolitik aus und fluteten die Finanzmärkte mit Geld, um den zum Stillstand gekommenen Geldmarkt künstlich am Leben zu erhalten. Das Mißtrauen der Banken untereinander war so groß geworden, dass keiner mehr dem anderen Kredite geben wollte. So mussten die Notenbanken als „Lender of last resort“ auftreten. Ansonsten wäre das Weltfinanzsystem kollabiert und hätte die Realwirtschaft mit in den Abgrund gerissen. Ein Teil des Vertrauens in unser Geldsystem brach in jenen Tagen zusammen.

 

Unterdessen werkelte der IT- und Krypto-Spezialist Satoshi Nakamoto (wahrscheinlich ein Pseudonym) an einer alternativen Währung. Als Nakamoto nach eineinhalbjähriger Arbeit am 31. Oktober 2008 sein Papier „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ veröffentlichte, war die unmittelbare Wucht der damaligen finanzpolitischen Ereignisse taufrisch. Die Lehman-Pleite lag erst sechs Wochen zurück. Der beinahe Einsturz des weltweiten Finanzsystems dürfte Nakamoto den letzten Kick gegeben haben, sein Papier fertigzustellen. Zwei Monate später – am 3. Januar 2009 – wurde der erste Bitcoin transferiert. „Ich wäre überrascht, wenn wir innerhalb der kommenden zehn Jahre keine elektronische Währung nutzen würden“, verlautete Nakamoto damals. Im Jahr 2008 lagen alle Bausteine für Bitcoin vor: Die Verschlüsselungstechnik, die Peer-to-Peer-Systematik, die notwendigen Programmierkenntnisse. Es brauchte jemanden, der die Puzzleteilchen – mit ein, zwei neuen Ideen garniert – zusammensetzte. Nakamoto hat sich über seine Motive nicht zusammenhängend geäußert. Er zog es im Jahr 2010 vor, von der Bildfläche zu verschwinden. Aber er hinterließ genügend Spuren, um seine Motivation zu verdeutlichen. Das Wort „Vertrauen“ taucht in diesen Spuren als zentraler Punkt auf. „Den Zentralbanken muss vertraut werden, unser Geld nicht abzuwerten. Aber die Geschichte des Fiat-Geldes ist in dieser Hinsicht voller Vertrauensbrüche“, so der Bitcoin-Erfinder am 11. Februar 2009 in einem Forum. „In unserem herkömmlichen System ist es notwendig, Banken zu vertrauen, die unser Geld vorhalten und es ohne große Reserven in Wellen von Kreditblasen verleihen.“, so Nakamoto weiter. Er will das alles nicht mehr. Er will dezentrales, anonymes Geld, über das der Nutzer selbst bestimmen kann. Er will eine Währung schaffen, die unabhängig von den Geldschöpfungen der Zentralbanken und der kommerziellen Banken funktioniert. Also modellierte Nakamoto eine Kryptowährung mit einer Wallet (engl. – deutsch: Brieftasche), die der Nutzer auf seinem PC oder Smartphone speichern kann. Nakamoto zeigte sich davon überzeugt, dass das digitale Geld beim Besitzer sicher ist.

 

Bitcoins sind ein Problem für viele Regierungen

 

Die zunehmende Digitalisierung in unserer Gesellschaft macht auch vor den Bezahlsystemen nicht halt. Bargeld scheint vor diesem Hintergrund ein Auslaufmodell zu sein. Ebenso machen mehr und mehr Digital- bzw. Kryptowährungen auf sich aufmerksam. Mit dieser Entwicklung Schritt zu halten fällt vor allem dem Staat und Finanzinstitutionen schwer. Nachdem absehbar war, dass sich Kryptowährungen, und hier an erster Stelle Bitcoin, immer weiter durchsetzen und eine echte Alternative zum vorherrschenden Bankensystem sein können, waren viele Regierungen in den letzten Jahren damit beschäftigt, zu verhindern, dass sich Bitcoins weiter in ihrem Wirtschaftsraum etablieren. Die Gründe für dieses kontra-produktive Verhalten sind von Regierung zu Regierung verschieden. Ein gutes Beispiel ist die Inflationssteuer. Wenn die Notenbank nicht unabhängig ist, dann wird die Geldmenge de facto von der Regierung festgelegt. Die Regierung kann sich Geld entweder durch die Ausgabe von Staatsanleihen am Kapitalmarkt leihen oder sie kann in Kooperation mit der Notenbank Staatsanleihen herausgeben, welche dann durch die Notenbank mit „neu geschaffenem“ Geld aufgekauft werden. Diese Variante nennt man dann Monetarisierung der öffentlichen Schuld. Die zweite Variante, also die Monetarisierung, findet in der Regel dann Anwendung, wenn sich die Regierung aufgrund ihrer schwachen Position nicht mehr regulär am Kapitalmarkt finanzieren kann. Es bleibt ihr somit nur noch der Weg, die Notenbank für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Geldmengenerhöhung führt auch immer zu einer heimlichen Steuererhöhung. Denn die so erzeugte Inflation führt am Ende zu erhöhten Steuereinnahmen, da auch das nominelle Einkommen der Steuerpflichtigen steigt. Das reale Einkommen jedoch ist in der Regel gleich geblieben oder sogar gesunken. Vor allem Staaten mit durchschnittlich hohen Inflationsraten wie Bolivien, Ecuador, Bangladesch, Iran und Ägypten, die allesamt Bitcoins in ihrem Einflussbereich verboten haben, könnten mit digitalen Zahlungsmitteln ein großes Problem bekommen. Denn nachdem sich die Leitwährung der „Kryptowelt“ als eine Alternative zu Gold etabliert hat, besteht für die einfache Bevölkerung die Möglichkeit, die Inflationssteuer zu umgehen. Die hohe Anonymität, Fungibilität und Netzwerksicherheit der Blockchain-Technologie machen es möglich, so dass durch die Schaffung von digitalen Werten Kapitalverkehrskontrollen wirkungslos werden. Doch auch global betrachtet wird in Zeiten hoher Staatsschuldenberge und ultra-lockerer Geldpolitiken die Skepsis und der Vertrauensverlust gegenüber dem Fiat-Geldsystem immer größer.

 

Blockchain-Technologie erst am Anfang

 

In den westlichen Industrienationen, in denen die Notenbanken in der Regel unabhängig sind, geht man konstruktiver mit dem Thema Bitcoins und Kryptowährungen um, wie es zum Beispiel die Bank of England tut, die zusammen mit der London School of Economics eine Forum für die Blockchain-Technologie geschaffen hat. In der Regel wird unter den westlichen Zentralbanken neben dem Wirtschaftswachstum viel wert auf Preisniveaustabilität gelegt. Das Problem für die westlichen Notenbanken mit Kryptowährungen könnte demnach anders gelagert sein, als es für Staaten mit traditionell hohen Inflationsraten der Fall ist. Mit der Verbreitung von direkten und sicheren Peer-to-Peer-Anwendungen wird ein belastbares Netzwerk geschaffen, dass den Intermediär beseitigt. Im Falle von Geldtransfers und Zahlungsabwicklungen ist es in der Regel ein Finanzdienstleistungsinstitut oder eine Bank, die durch die Anwendung der Blockchain-Technologie ersetzt wird. Für sich genommen ist dieser Prozess höchst effizient, denn die Kosten- und Aufwandsersparnis für den Anwender dieser Technologie ist signifikant. Jedoch für die nationalen Währungshüter könnte der Kontrollverlust, der mit dem Wegfall des Intermediär einhergeht, fundamental sein. Zum einen gehen wichtige Informationen, die für eine gute Geldmengensteuerung in einer komplexen Welt notwendig sind, verloren. Wenn Notenbanken aber nicht umfassend über die monetäre Lage in ihrem Hoheitsbereich informiert sind, dann könnten Fehlentscheidungen die Folge sein.

 

Entmachtung der Notenbanken?

 

Auch der monetäre Transmissionsmechanismus könnte erheblich durch die Verbreitung und Anwendung von digitalen Währungen gestört werden. Der monetäre Transmissionsmechanismus ermöglicht der Notenbank, dem Wirtschaftsverkehr Geld zu entziehen oder es hineinzupumpen. Dafür braucht eine Zentralbank einen Transmissionskanal. In einem Fiat-Geldsystem ist dies zumeist ein Oligopol aus Finanzdienstleistern und Banken. In einer Welt mit weit verbreiteten Peer-to-Peer-Anwendungen könnte der monetäre Transmissionsmechanismus in seiner Wirksamkeit stark beeinträchtigt werden. Spinnt man das Rad konsequent weiter, dann könnten die nationalen Notenbanken von den Kryptowährungsanwendern entmachtet werden. Nicht zuletzt aus diesen Gründen diskutieren Vertreter von Notenbanken heute offen darüber, ob staatliche Kryptowährungen ein mögliches Geldmodell der Zukunft sind. Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob und welche Kryptowährungen in Zukunft das Zeug dazu haben, den Status und die Akzeptanz eines Zahlungsmittels zu erreichen?

 

Die Frage nach einer globalen Währung

 

Bitcoins könnten aufgrund ihrer programmatischen Ausstattung eher die Anforderungen für ein digitales Wertaufbewahrungsmittel erfüllen, denn die Anzahl an emittierten Bitcoins steht mit 21 Millionen unwiderruflich und für alle Zeit fest. Bis zum heutigen Zeitpunkt wurden etwa 17 Millionen Bitcoins geschaffen und in über 120 Jahren werden dann alle digitalen Münzen erschaffen worden sein. Zieht man die Zahl der Bitcoins ab, die im Laufe der vergangenen Jahre unwiederbringlich verloren gegangen sind, dann wird die verfügbare Anzahl von Bitcoins weit darunter liegen. Experten schätzen, dass der Zugriff auf vier Millionen Bitcoins nicht mehr möglich ist, weil viele Besitzer im Laufe der Jahre ihren Private Key verloren haben. Eine gut geölte Weltwirtschaft braucht aber eine moderate Inflation, damit sich Wirtschaftswachstum und Fortschritt entfalten können. Das zeigt zumindest die Wirtschaftsgeschichte, in der starre Geldsysteme, wie z.B. der Goldstandard, ein zu enges Korsett für Innovation und Wachstum waren. Auch könnte mit einer globaler Währung Namens Bitcoin befürchtet werden, dass die armen Länder dieser Welt, die vorher die nationale Geldpolitik benutzten, um den Wechselkurs auf- und abzuwerten, diese wirtschaftspolitische Option verlieren würden. Diese Länder könnten in einer Zukunft mit nur einer globalen Währung dem geballten Produktivkapital der westlichen Nationen wehrlos gegenüberstehen. In diesem Fall würden die Probleme, die der Euro offen gelegt hat, indem unterschiedlich produktive Volkswirtschaften eine Währung besitzen, auf globaler Ebene entstehen. Die Zukunft wird es zeigen, wie die Politik reagiert. Aber eins sollte den politischen Entscheidern klar sein, der Kryptowährungsgeist ist aus der Flasche und keine Macht der Welt kann ihn wieder einfangen.

 

Hier gehts weiter zu: Der Kryptomarkt im Überblick

 

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